Sozialversicherungsrecht: Unterstellung- und Beitragsrecht im internationalen Bereich
Die AHV/IV/EO stellt eine soziale Pflichtversicherung dar. Alle, die die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht erfüllen, sind obligatorisch versichert und sind in der Regel auch beitragspflichtig. Betreffend die Beitragspflicht ergeben sich vier Hauptfragen:
- Ist eine Person versichert?
- Ist diese Person beitragspflichtig?
- Wer bezahlt die Beiträge?
- Wie werden die Beiträge bemessen?
In der Schweiz regelt sowohl das AHV-Gesetz als auch die AHV Verordnung die Beitragspflicht. Obligatorisch versichert sind alle natürlichen Personen mit einem zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz. Weiter sind alle natürlichen Personen, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben, obligatorisch versichert. Dies auch wenn sie ihren zivilrechtlichen Wohnsitz im Ausland haben, wie Grenzgänger und Wochenaufenthalter.
Nach welchem Gesetz erfolgt die Unterstellung im internationalen Bereich?
Zunächst ist zu prüfen, ob die Schweiz mit dem entsprechenden Land ein Abkommen abgeschlossen hat. Existiert ein solches Abkommen, stellt dieses zwingend anwendbares Recht dar. Es gilt der Grundsatz: Völkerrecht vor Landesrecht. Viele grenzüberschreitende Sachverhalte der Schweiz spielen sich im EU-Raum ab. Dazu ist stets die EU-Verordnung 883/2004 (für EU- und EFTA-Staaten) und die Durchführungsverordnung 987/2009 (für EU-Staaten) zu konsultieren. Da der Wortlaut in den einzelnen Artikeln nicht ganz trivial verfasst ist, ist die Wegleitung über die Versicherungspflicht in der AHV/IV (WVP) vom Bundesamt für Sozialversicherungen BSV hilfreich.
Liegt nun das korrekte Gesetz vor, ist zwingend noch die Qualifikation der Erwerbstätigkeit zu klären. Ist diese unselbständig oder selbständig? Ein Ruling von der Ausgleichskasse kann hier empfehlenswert sein.
Die zivilrechtlichen Gegebenheiten können ein Hinweis auf das Vertragsverhältnis sein. Nach Bundesgerichtsentscheiden ist jedoch stets der konkrete Einzelfall zu würdigen. Ein Merkmal kann dabei ausschlaggebend sein. Als unselbstständig erwerbstätig ist im Allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt.
Nach den Verordnungen mit der EU, läuft die Unterstellung wie folgt ab.
Erwerbstätigkeit | Staat der Unterstellung |
– eine Erwerbstätigkeit | – Unterstellung im Staat der Erwerbstätigkeit |
– zwei oder mehrere unselbständige Erwerbstätigkeiten | – Unterstellung im Wohnsitzstaat, sofern dort ein wesentlicher* Teil der Erwerbstätigkeit ausgeführt wird; sonst im Sitzstaat des Arbeitgebers |
– zwei oder mehrere selbständige Erwerbstätigkeiten | – Unterstellung im Wohnsitzstaat bzw. im Staat mit der Haupttätigkeit |
– zwei oder mehrere selbständige und unselbständige Tätigkeiten | – Unterstellung im Staat der unselbständigen Tätigkeit (Wohnsitz irrelevant) |
– mehrere unselbständige Erwerbstätigkeiten, keine oder keine wesentliche davon im Wohnsitzstaat | – im Sitzstaat des Arbeitgebers; wenn alle Arbeitgeber in diesem Staat ansässig sind |
– mehrere unselbständige Erwerbstätigkeiten, keine oder keine wesentliche im Wohnsitzstaat, aber in verschiedenen Staaten | – Unterstellung im Wohnsitzstaat |
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* Wesentlich bedeutet nach Art. 14 Abs. 8 der EU-Verordnung 987/2009 eine Erwerbstätigkeit von mehr als 25%
Nebst der Definition der wesentlichen Tätigkeit ist ebenfalls der Begriff der marginalen Tätigkeit zu erläutern. Eine marginale Tätigkeit liegt vor, wenn diese in Geld oder Zeit nicht mehr als 5% ausmacht. Ein VR-Mandat kann indessen nie marginal sein, da der Einfluss stets bedeutsam ist.
Der Qualifikationsentscheid, ob eine Tätigkeit als selbständig oder unselbständig eingestuft wird, fällt jeweils der Staat, in dem sich der entsprechende Sachverhalt abspielt. Beispielsweise ist ein Verwaltungsrat nach Schweizer Recht unselbständig, ein Aufsichtsrat in Deutschland jedoch selbständig.
Wenn nun beispielsweise ein Deutscher Staatsangehöriger in Deutschland wohnhaft ist und dort einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgeht und in der Schweiz ein VR-Mandat annimmt, haben wir ein klassisches Zusammentreffen einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit. Die Unterstellung erfolgt im Staat der unselbständigen Tätigkeit, in diesem Fall in der Schweiz. Der Selbständigerwerbende muss sein gesamtes Erwerbseinkommen aus Deutschland der AHV unterstellen. Die Ausgleichskassen fordern die Beträge bei unterlassener Anmeldung für 5 Jahre zuzüglich 5% Verzugszinsen p.a. ein. Selbst wenn kein VR-Honorar fliesst, bleibt die Unterstellung dieselbe.
Ebenfalls ist besonders bei Grenzgängern mit einem Teilzeitpensum abzuklären, ob diese im Wohnsitzsaat einer wesentlichen Tätigkeit nachgehen. Wenn dem so ist, erfolgt die Unterstellung nach Koordinationsregeln des Wohnmitgliedsstaates und nicht nach dem Schweizer Recht. Der Schweizer Arbeitgeber muss die Sozialversicherungsbeiträge im Ausland entrichten.
Wir empfehlen Ihnen, diese Sachverhalte im Vorfeld abzuklären, um spätere Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Gerne unterstützen wir Sie dabei.
Nützliche Links:
Wegleitung über die Versicherungspflicht in der AHV/IV (WVP)
https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6957/download
EU-Verordnung 883/2004
https://www.admin.ch/opc/de/official-compilation/2012/2627.pdf
Durchführungsverordnung 987/2009
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20112876/201501010000/0.831.109.268.11.pdf